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Plattdeutsch in Steinhagen

Ein Besucher, der nach Steinhagen kommt, wird zunächst nicht auf den Gedanken kommen, dass er sich in einem zweisprachigen Gebiet befindet. Wahrscheinlich wird ihm erst nach einigem Aufenthalt das Plattdeutsche – man kann es auch Niederdeutsch nennen – als geschriebene Sprache und als ein von Vereinen und Institutionen gepflegtes Kulturgut, selten aber als Umgangssprache begegnen. Noch vor hundert Jahren war es umgekehrt: Plattdeutsch war in Steinhagen Verkehrs- und Umgangssprache, wurde jedoch kaum geschrieben.

Ravensberger Plattdeutsch

Das Plattdeutsch Steinhagens ist keine isolierte Mundart. In Steinhagen wird Ravensberger Plattdeutsch gesprochen, das eine Variante des Ostwestfälischen ist. Die westfälischen Mundarten sind wiederum Teil des Niederdeutschen. Ein Erkennungsmerkmal des Westfälischen ist die Entwicklung des sog. altlangen und des sog. tonlangen a in offener Silbe. Im altniederdeutschen Wort makon (machen) wurde das a noch wie im Hochdeutschen kurz gesprochen. Dieses a wurde im Laufe der Sprachentwicklung gedehnt, sodass man heute im Westfälischen maken mit langem a sagt. Das alte ursprünglich lange a hat sich im heutigen Niederdeutschen zu einem o-Laut entwickelt, wie z. B. in Schop (Schaf).

Im Westfälischen werden also das neue, gedehnte lange a und das alte lange a weiterhin lautlich unterschieden. Im übrigen Niederdeutschen sind diese Laute zusammengefallen. Typisch westfälisch ist außerdem die Aussprache der altniederdeutschen Kurzvokale in offener Silbe als Diphthonge. Diese Erscheinung, die den Klang des Ravensbergischen in hohem Maße bestimmt, ist auch als »Westfälische Brechung« bekannt. So sagt man im Ravensbergischen iaden (essen), wieden (wissen), uapen (offen) und kuomen (kommen).

Ein typisch ostwestfälisches Merkmal des Ravensbergischen ist die Verwandlung des allgemein niederdeutschen -al- zu -ol- wie z. B. in oll (schon) und olle (alle). Im Gefolge dieser Verwandlung wurde altes -ol- vor -ld- bzw. -lt- zu -aul- verschoben, wie z. B. in ault (alt) und kault (kalt). Das Ravensbergische ist eine der ostwestfälischen Mundarten, die die alten Langvokale stark diphthongiert haben. Charakteristisch ist die Diphthongierung des alten -î- zu -ui- und die des alten û zu -iu-, ferner die Verwandlung des alten -ô- zu -eo- und die des alten -ê- zu -oe-(--oü-). Man sagt Tuit (Zeit), Hius (Haus), Steol (Stuhl) und doepe (tief). Für das Ravensbergische ist außerdem die Aufweichung des -t- zwischen zwei Vokalen kennzeichnend. Man sagt: iude (aus) und fluidig (fleißig). Innerhalb Steinhagens gibt es sprachliche Unterschiede.

Zur Verdeutlichung sei das Schibboleth Der Mäher hat Mühe, muss säen und mähen, bei schlechtem Wetter heuen angeführt.

Brockhagen: Doe Moegger hat Moögge, mott saiggen un maiggen, bui slechtem Wiar haiggen.

Obersteinhagen: Doe Maier hat Moöe, mott saien un maien, bui slechtem Wiar haien.

Sprachwechsel

Noch im späten Mittelalter wurde das Niederdeutsche im bis nach Westfalen verbreiteten Städtebund der Hanse auch als geschriebene Sprache verwendet. Der wirtschaftliche Niedergang der Hanse leitete auch den Untergang der niederdeutschen Schreibsprache ein.

Im niederdeutschen Sprachgebiet entwickelte sich daraufhin eine Form der Zweisprachigkeit, in der das Plattdeutsche Umgangs- und Verkehrssprache blieb, das Hochdeutsche jedoch die geschriebene Sprache wurde. Der zweisprachige Zustand blieb bis in das 19. Jh. stabil.

Die gesellschaftlichen Umwälzungen des 19. Jh. führten dazu, dass das Niederdeutsche auch als gesprochene Sprache an Boden verlor. Gegen Ende des 19. Jh. war das Plattdeutsche im Ravensberger Land noch die Umgangssprache der Landbevölkerung, aus den Städten war es jedoch bereits weitgehend verschwunden. Als Reaktion auf den um sich greifenden Sprachwandel begannen verschiedene Autoren das Plattdeutsche wieder als geschriebene Sprache zu verwenden. Auch das Werk Heinrich Stoltes ist vor diesem Hintergrund zu sehen.

Heinrich Stolte

Heinrich Stolte wurde 1858 auf einem Hof in der Bauernschaft Ströhen geboren. Er scheint bereits in jungen Jahren den elterlichen Hof verlassen zu haben, war später als Taubstummenlehrer in Bielefeld tätig und starb am 16. Juni 1935. Stolte wuchs in einer mehr oder weniger einsprachig plattdeutschen Umgebung auf. Er hat das später folgendermaßen formuliert: Up iusen Huawe weort dat Breockhiager Platt kuüert. Wui Kinner hairen for der Scheoltuit ninn haugduütsk Weort os blaut in den lütken Kinnergebedden, doe us Mudder lere. (»Auf unserem Hofe wurde das Brockhäger Platt gesprochen. Wir Kinder hörten vor der Schulzeit kein hochdeutsches Wort als bloß in den kleinen Kindergebeten, die uns Mutter lehrte.« Stolte 1931 S. 45.)

Nach der Pensionierung im Jahre 1923 hat Stolte seine Schaffenskraft auf die Dokumentation des Plattdeutschen verwendet. Er war zu der Überzeugung gelangt, dass das Plattdeutsche im Ravensberger Land völlig untergeht, wenn es nicht aufgeschrieben wird: Doe aule Sproke goet innen Ramskenbrinker Lanne togrunne, wenn doe Hoematfrünne soe nich upschruiwet un redd't. (»Die alte Sprache geht im Ravensberger Lande zugrunde, wenn die Heimatfreunde sie nicht aufschreiben und retten.« Stolte 1931 S. 45.)

Eine erprobte Schreibweise für das Ravensbergische gab es bis dahin nicht und nur wenige Autoren hatten zuvor auf Ravensberger Platt geschrieben. 1925 veröffentlichte Stolte das Buch Wie schreibe ich die Mundart meiner Heimat? Ein Beitrag zur niederdeutschen Rechtschreibung und Mundartforschung auf der Grundlage der Ravensberger Mundart in Brockhagen und Steinhagen, das eine Grammatik der Ortsmundart Brockhagens enthält, aber auch Ausdruck von Stoltes Bemühungen ist, eine angemessene Schreibweise für das Ravensberger Plattdeutsch zu finden. Sechs Jahre später veröffentlichte Stolte eine überarbeitete und erweiterte Fassung dieses Werkes unter dem Titel Bauernhof und Mundart in Ravensberg. Beiträge zur niederdeutschen Volkskunde.

Neben einer Grammatik umfasst dieses Werk eine unter dem Titel Der Bauernhof um 1870 zusammengefasste Textsammlung sowie ein plattdeutsch-hochdeutsches Wörterbuch zu dieser Sammlung.

In Der Bauernhof um 1870 beschreibt Stolte in sieben Kapiteln auf Plattdeutsch die Lebens- und Arbeitswelt seines elterlichen Hofes, so wie er diese als Zwölfjähriger erlebt hat. Das Werk ist als Quelle zur Volkskunde von unschätzbarem Wert. Im Wörterbuch zu diesem Werk hat Stolte den Kern des ravensbergischen Wortschatzes eingefangen. Man findet zahlreiche altertümliche, heute vergessene Begriffe sowie viele Tier- und Pflanzennamen in dieser Sammlung. Der Tod Stoltes ist wohl die Ursache dafür, dass zwei weitere Werke Stoltes, eine Übersetzung des Neuen Testamentes in das Ravensbergische und die Sammlung Alte bekannte Lieder in Ravensberger Mundart nicht mehr gedruckt wurden. Stoltes Übersetzung des Neuen Testamentes wurde erst 2007 im Internet veröffentlicht.

Textprobe (Matthäus 6, 26): Soet doe Füögel unnern Hiemel an! Soe saigget nich, soe maigget nich, soe sammelt niks inne Schuürn, un jiue Fadder innen Hiemel erniart soe doch.

Heinrich Stolte hat uns nicht nur eine Reihe bedeutender literarischer Werke in plattdeutscher Sprache hinterlassen, er ist auch der Schöpfer einer fundierten Schreibweise für das Ravensbergische. Nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, dass das Ravensberger Plattdeutsch uns mit seinem ganzen sprachlichen Reichtum erhalten geblieben ist.

Text: Olaf Bordasch

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